Warum Veränderungen und Transformationen oft an der Realität scheitern – mein Weg zurück zur Theorie.
- René Vormündl
- 2. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Von Praxisfrust zur Theorie – und zurück
Mein persönlicher Weg zu der Erkenntnis, dass so viel Wertvolles in Theorien steckt und leider viele davon noch nicht den Weg in die Praxis finden.
Nach über 20 Jahren Berufserfahrung in verschiedensten Unternehmen, Teams und Positionen stellte sich mir immer wieder die gleiche Frage: Warum verhalten sich Mitarbeitende und Führungskräfte so, wie sie es tun? Liegt es an der Persönlichkeit? An den Strukturen? Oder gibt es tiefere Mechanismen, die unser Handeln unbewusst steuern?
Ich hatte oft das Gefühl, dass Entscheidungen weniger von Strategie als von der Dynamik der Gruppe geprägt waren. Starke Persönlichkeiten dominierten, während andere verstummten. Veränderungsinitiativen scheiterten an unausgesprochenen Widerständen. Führung war häufig Reaktion statt Aktion.
Der Wunsch, diese Phänomene besser zu verstehen, führte mich zurück zur Theorie. Nach Jahren der Beobachtung und Praxis entschied ich mich für einen MBA in Organisationsentwicklung. Ich hatte vorher viel gelesen, unzählige Vorträge besucht – aber die Theoriearbeit für die Masterarbeit wurde zum Schlüsselerlebnis: Plötzlich zeigte sich ein großes Ganzes, ein Ordnungsrahmen für all die losen Enden meiner Beobachtungen in der Praxis.

Warum die Theorie in der Praxis so selten ankommt
In der Wirtschaft ist ein klares Muster zu erkennen: Wichtige Führungstheorien sind seit Jahrzehnten bekannt, aber kaum verankert. Das Paradebeispiel ist die charismatische Führung, die bereits in den 1980er Jahren von Bernard Bass umfassend erforscht und dann in seinem Buch beschrieben wurde. Führung, die Menschen begeistert, inspiriert und zu Höchstleistungen antreibt – und doch erlebe ich immer wieder Führungskräfte, die sich in Mikromanagement verlieren oder autoritär agieren.
Noch frappierender sind die Erkenntnisse der Systemtheorie und der Gruppendynamik: Das System prägt das Verhalten der Menschen oft stärker als ihre eigene Persönlichkeit. Oft übersehen Führungskräfte oder Veränderungsinitiativen diesen Effekt. Man will Verhalten ändern, ohne das Umfeld zu berücksichtigen – und scheitert.
Das ASA-Modell von Benjamin Schneider (1987) brachte eine weitere spannende Erkenntnis: Unternehmen sind selten so vielfältig, wie sie glauben. Über die Zeit neigen Organisationen dazu, Menschen anzuziehen (Attraction), auszuwählen (Selection) und zu behalten (Attrition), die dem bestehenden System ähneln. Diversity-Initiativen laufen ins Leere, weil die Organisationskultur diese gewünschte Vielfalt unbewusst blockiert.

Fach- oder Führungskarriere?
Ein weiterer Punkt, der mir in meiner Karriere immer wieder begegnet ist, ist der Irrtum vieler Unternehmen, die beste Fachkraft automatisch zur Führungskraft zu machen. Es kann klappen, aber oft zeigt sich auch ein gegenteiliges Bild.
Fachliche Exzellenz bedeutet nicht automatisch Führungskompetenz. Führung ist nicht nur eine zusätzliche Aufgabe, sondern eine andere fachspezifische Disziplin. In der Praxis führt dies häufig zu frustrierten Führungskräften, die ihrer Rolle nicht gerecht werden können, und zu enttäuschten Teams, die unter einer Überforderung leiden. Ich habe dazu auch schon mal einen ausführlichen Artikel verfasst und mögliche Handlungsfelder beleuchtet. (-->Beitrag WKO Huddlex)
New Work und moderne Arbeitsformen verschärfen dieses Problem zusätzlich. „Empowerment“, „Agilität“ und „Eigenverantwortung“ bleiben oft leere Worthülsen, wenn niemand wirklich erklärt, was sie bedeuten sollen. Die Unklarheit führt zu Missverständnissen und letztlich zu Widerstand.
Führung als Lösung? Systemdenken statt Heldenmythos!
Die Erkenntnis, dass Systeme das Verhalten der Menschen oft stärker prägen als individuelle Eigenschaften, hat mir die Augen geöffnet. Es ist einfach, auf Einzelne zu zeigen, wenn etwas schiefläuft – doch die wahren Ursachen liegen häufig tiefer.
Gruppendynamik zum Beispiel ist eine dieser unsichtbaren Dynamiken. Sie kann bestehende Muster verstärken, Innovation blockieren und Menschen in bestimmte Rollen zwingen. Wer das nicht miteinbezieht, könnte zum Beispiel geneigt sein, eine Transformation per Anweisung umzusetzen.
Was braucht es wirklich? Systemisches Denken und Handeln! Die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, die passenden Menschen anziehen, echte Vielfalt zulassen, eine passende Fehlerkultur aufbauen und Verantwortung bewusst verteilen – das ist ganzheitliche Organisationsentwicklung.

Die Brücke von der Theorie zur Praxis: Was für mich die persönlichen Key Learnings daraus sind
Theorie und Praxis können sich gegenseitig befruchten – wenn man sich wirklich darauf einlässt. Die systemische Organisationsentwicklung zeigt, wie wichtig es ist, Dynamiken bewusst zu beobachten und Strukturen aktiv zu gestalten. Eine passende Theorie kann dazu den wesentlichen zweiten Blick liefern, um Transformation in der Realität wirklich erfolgreich zu gestalten.
Praktische Schritte für moderne Führung und wirksame Veränderung:
Verstehen statt Beherrschen: Führungskräfte sollten lernen, Systeme zu durchdringen und Wechselwirkungen zu erkennen.
Mut zur Unschärfe: Nicht immer müssen Antworten sofort gefunden werden. Besser ist es, die richtigen Fragen zu stellen.
Führung als Dienstleistung: Es geht nicht um Kontrolle, sondern um die Ermöglichung von Selbstführung im System.
Kulturarbeit ernst nehmen: Werte und Normen prägen das System mehr als jede Strategie.
Je ungewisser die Zukunft, desto wichtiger wird es, mit der sich daraus ergebenden Ambidextrie unterschiedlicher Anforderungen umzugehen. Ein möglicher Blickwinkel darauf könnte die Analyse und Unterscheidung des zu lösenden Problems sein.
Was bleibt? Warum Theorie für mich in der Praxis-Realität für eine nachhaltige Transformation so wertvoll ist
Es ist schade, dass so viel Wissen ungenutzt bleibt. Führungskräfte, die sich auf die Theorie einlassen, gewinnen eine neue Perspektive: Sie lernen, Systeme zu gestalten, statt Einzelne zu steuern. Sie verstehen, dass Führung weniger Heldenmut und mehr Demut bedeutet.
Wem das gelingt, der schafft echte Transformation – und nicht nur Change-Management.
Lust auf mehr?
Moderne Führung erfordert mehr als Methoden und Tools – sie braucht ein echtes Verständnis für Dynamiken und Systeme. In meinen Seminaren und Workshops wie lateraler Führung, Führung im Change oder auch Führungskräfteentwicklung allgemein werden genau diese Kompetenzen geschärft.
(Quelle Titelbild: Business illustrations by Storyset)


Gemeinsam entwickeln wir Lösungen, die wirklich Wirkung zeigen – maßgeschneidert und praxisnah.
Ing. René Vormündl, MBA