Was Führung in Unternehmen oft übersieht: Die leise Kraft der Geführten
- Rene Vormuendl
- vor 6 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Was passiert, wenn man zuerst die fragt, die nicht führen?
Und – viel wichtiger – wenn man ihren Antworten Raum gibt?
In Organisationen wird viel über Führung gesprochen, besonders als Hebel in der Transformation. Auch darüber, wie die Geführten dabei mitgenommen werden sollen – aber viel zu wenig, wie bedeutend ihre eigene Macht dabei eine Rolle spielt. Dabei zeigt sich immer wieder: Die größte Hebelwirkung liegt oft dort, wo die formale Verantwortung endet.
Die unterschätzte Macht der informellen Strukturen
Die formale Organisation regelt Zuständigkeiten, Rollen, Abläufe. Doch was zwischen Menschen tatsächlich passiert, entscheidet sich oft außerhalb der offiziellen Strukturen – in Pausengesprächen, persönlichen Vereinbarungen, Seilschaften, Handlungsmuster oder auch in der vorherrschenden Gruppendynamik.
Das ist weder gut noch schlecht. Es ist schlicht: Realität.
Gerade in Veränderungsprozessen zeigt sich diese Dynamik besonders deutlich. Ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung:
Eine Organisation führte ein agiles Projektsetting ein. Stand-ups statt Jour Fixe, iterative Planung statt einmaligen ganzheitlichen Projektplan. Klingt nach einer grundsätzlichen Veränderung – doch informell blieb vieles beim Alten.
Entscheidungen wurden weiter vorwiegend durch die formale Hierarchie getroffen. Feedbackrunden fanden statt – aber ohne wirkliche Konsequenz. Die offiziell kommunizierte Struktur war neu, die informelle blieb weiter bestehen.
Das Ergebnis? Frust. Rückzug. Und das stille informelle Abkommen: "Wir spielen einfach die erfolgreiche Transformation, aber wirkliche Veränderung bleibt aus und somit auch keine messbaren Verbesserungen durch die Veränderung."
Führung in Unternehmen beginnt nicht nur bei der Führungskraft – sondern auch wesentlich bei denen, die geführt werden
Wer in Organisationen etwas bewegen will, muss lernen zu hören, was (noch) nicht gesagt wird. Und das bedeutet:
Räume schaffen für Perspektiven, die nicht von selbst sichtbar werden.
Bedingungen erzeugen, unter denen auch kritische Stimmen erlaubt sind.
Entscheidungen nicht nur auf Basis von formaler Macht treffen – sondern auf vielseitigem Wissen und Ideen.
Das erfordert psychologische Sicherheit, nicht als Buzzword, sondern als Führungsauftrag.
Denn nur dort, wo Menschen sich sicher fühlen, äußern sie ihre Gedanken, ihre Zweifel, ihre echten Überlegungen und Ideen.
Und genau diese sind oft das wertvollste Feedback für Führung – wenn sie es annehmen kann.

Formale Regeln geben Halt – aber sie greifen nicht überall
Formale Strukturen sind wichtig. Sie sind die Grundlage für Orientierung, Effizienz und Wiederholbarkeit. Dort, wo Wertschöpfung standardisiert werden kann und der Markt es zulässt, braucht es klare Regeln.
Ein einfaches Beispiel:
Wenn ein Unternehmen zum einen anspruchsvolle technische Produkte vertreibt, können zum anderen Vertriebskanäle, Serviceprozesse und Dokumentation zumeist formalisiert sein – weil diese stabil am Markt anschließen.
Doch: Wo Unsicherheit herrscht und Innovation gebraucht wird, helfen Formalismen nicht weiter. Dort braucht es:
schnelle Ideen
individuelle Lösungen
situative Entscheidungen
Spielräume für Interpretation
Und genau dabei entfaltet sich die Macht und das Potenzial der Geführten.

Das Potenzial der Störung: Wie Führung dadurch ungenutzte Potenziale aktivieren kann
Ein häufiger Fehler der Führung in Unternehmen ist es, Widerstand als Störung zu deuten. Doch Widerspruch – sei es durch Zurückhaltung, bewusste Inaktivität oder sogar nachteiligem Verhalten – ist oft ein Hinweis darauf, dass das System an der Oberfläche vorbei agiert.
Menschen widersprechen nicht immer, weil sie dagegen sind. Manche widersprechen, weil sie etwas sehen, das Führung oder sogar die Organisation als Ganzes übersieht.
Das ist aber nicht per se ein Problem. Das ist vielmehr eine Ressource, eine Chance.
Wenn die Führungskräfte es schaffen, diesen Widerspruch nicht zu unterdrücken, sondern aufzudecken und zu verstehen, entsteht eine neue Form der Zusammenarbeit:
Eine, in der Führende und Geführte gemeinsam das System gestalten.
Formale Mitgliedschaft – informelle Deutungshoheit
Mit Eintritt in ein Unternehmen akzeptieren Mitarbeitende bestimmte formale Regeln.
Zu beachten ist dabei auch, dass je vager diese Regeln sind, desto stärker verschiebt sich das Geschehen ins Informelle.
Was dabei entsteht, ist aber nicht gleich Chaos.
Es ist eine andere Logik:
Interpretation statt Vorgabe. Kultur statt Vorschrift. Zugehörigkeit statt Hierarchie.
Und genau diese Logik ist es, die über den Erfolg oder das Scheitern vieler Transformationen entscheidet.
Die Rolle von Führung: Macht anerkennen, die nicht offiziell ist
Moderne Führung ist deshalb nicht schwächer – sie ist feiner justiert. Sie basiert nicht auf Kontrolle, sondern auf Wahrnehmung. Sie erkennt nicht nur Prozesse, sondern vor allem Muster.
Und sie weiß:
Die Geführten sind keine Ausführenden – sie sind Mitgestalter. Wer ihnen nicht zuhört, bekommt keine ehrlichen Antworten. Wer sie nicht ernst nimmt, bekommt nur noch jene Antworten, die man, wenn man sich ehrlich ist, eigentlich schon kennt.
Was Führung daraus machen sollte
Zuhören – auch wenn es unbequem ist
Informelles erkennen, beobachten und ernst nehmen – nicht ignorieren
Formales bewusst gestalten – nicht blind standardisieren
Unsicherheit zulassen – und gemeinsam die besten Lösungen finden
Transformation als Dialog verstehen – nicht als Anweisung

Fazit: Die Geführten gestalten längst mit – Führung entscheidet nur, ob sie es für den Erfolg nutzt
Die stille Macht in Organisationen ist kein Risiko – sie ist ein Potenzial. Dort, wo Führung erkennt, dass sie nicht alleine steuert, entsteht etwas Neues: Ein System, das sich ganzheitlich weiterentwickeln kann – durch Beteiligung, nicht durch Befehl.
Meine Beratung unterstützt Organisationen dabei, diese informelle Dynamik bewusst zu gestalten. Ich begleite Führungskräfte, die nicht nur Methoden umsetzen wollen, sondern besser verstehen möchten, was unter der Oberfläche wirkt – und wie sie damit wirksam umgehen können.
(Quelle Titelbild: People illustrations by Storyset)


Wenn das für Sie spannend klingt, lassen Sie uns sprechen:
Ing. René Vormündl, MBA